Welches Thema passt zu einem Spiel, in dem es darum geht, die Mehrheit in einem bestimmten
Bereich zu gewinnen? Ein Gebiet zu erobern?
Die Welt der Spiele hat ein Problem, weniger die Autoren, als viel mehr die Verantwortlichen in den Verlagen, die für Design und Marketing ihrer Produkte zuständig sind: Was bis vor kurzem noch ein gängiges Modell war – die entsprechende Idee als Eroberungs- oder Besetzungsspiel auf den Markt zu bringen – scheint mir heute angesichts des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine höchst fragwürdig. Ich bin gespannt, wie die Verlage auf diese neue Situation reagieren werden. Erste Antworten dürften an der «Spiel’22», der weltweit grössten Publikumsmesse für Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele, zu sehen sein, an der Anfang Oktober in Essen Hunderte von Herbstneuheiten präsentiert werden.
Politisch sehr korrekt
«Animal Kingdoms» wird garantiert keinen Shitstorm wegen politischer Unkorrektheit auslösen, da es das heikle Thema elegant in die Tierwelt verschiebt. Wir kämpfen zwar um «die Vorherrschaft in fünf Königreichen», werden dabei aber weder von Soldaten, Panzern und Raketenwerfern, sondern von Tieren unterstützt. Und bei unserem Vormarsch halten wir uns sogar an die im jeweiligen Gebiet «herrschenden Gesetze». Korrekter geht es wohl nicht mehr …
Beim Spielen kümmert uns das nicht. Thema und Geschichte wirken eher aufgesetzt und spielen kaum eine Rolle. «Animal Kingdoms» könnte ebenso gut ein abstraktes Mehrheitenspiel sein, doch in einer nüchternen Aufmachung würde es weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und das wäre schade.
Auf das Zielpublikum zugeschnitten
Ist der Spielplan mit den fünf Königreichen einmal zusammengesetzt, entsteht bei manchen vielleicht der Eindruck, ein kompliziertes Spiel vor sich zu haben. Doch der Eindruck täuscht: «Animal Kingdoms» ist exakt auf sein Zielpublikum zugeschnitten mit einem einfach strukturierten Spielablauf, der einen schnellen Einstieg und ein flüssiges Spiel ohne ständige Rückfragen ermöglicht. Dazu sind auch Material- und Regelbestand gut überschaubar.
Drei Zugmöglichkeiten hat, wer an der Reihe ist – entweder eine seiner Tierkarten ausspielen, beliebig viele seiner Karten tauschen oder aussteigen. Beim Ausspielen seiner Tierkarten ist man nicht frei, hat sich an die Gesetze zu halten, die gerade im Königreich gelten, wo man eine Figur seiner Farbe setzen möchte. «Gerade», weil für jede der drei Runden, über die das Spiel geht, ein neues Gesetz erlassen wird. Was muss man sich unter einem solchen Gesetz vorstellen? Eines kann beispielsweise vorschreiben, dass der Wert der Karte, die man anlegen will, eins höher oder tiefer sein muss als jene der schon hier liegenden Karte. Oder dass niemand eine Karten legen darf, die denselben Wert hat wie die eben ausgespielte Karte. Es kann sein, dass es gar nicht möglich ist, eine Karte zu legen. In einem solchen Fall bleibt einem nichts anderes übrig, als Karten zu tauschen.
Zum Schluss das Königsfeld
Wer eine seine Tierkarten ausgespielt hat (man hat immer vier zur Auwahl), platziert einen Stein seiner Farbe auf einem leeren goldenen Feld im entsprechenden Königreich. Die Zahl der Felder variiert von Reich zu Reich, eines ist mit vier Figuren voll belegt, ein anderes aber erst mit acht. Als letztes Feld in einem Gebiet wird das so genannte Königsfeld besetzt. Wem dieser Zug gelingt, steigt für diese Runde aus. Sind das alle Mitspielenden, endet diese Runde und es wird gewertet. Nach drei Runden steht die Siegerin oder der Sieger fest.
Den Zeitpunkt des Ausstiegs sollte man mit Bedacht wählen: Sobald man nämlich das Königsfeld in einem Königreich besetzt hat, ist man Zuschauerin oder Zuschauer und kann für die laufende Runde keinen Einfluss auf den Spielverlauf mehr nehmen. Das ist negativ. Zur Belohnung bekommt man jedoch Bonuspunkte und, sehr wichtig, kann den den eingesetzten Stein bei den nachfolgenden Wertungen mitzählen. Ein unbedingter Wettbewerbsvorteil!
Die Eins schlägt die Acht
Eine Besonderheit von «Animal Kingdoms» ist die Art und Weise der Wertung, wenn es in einem Königreich in der Auseinandersetzung um den ersten Platz keine Mehrheit gibt. Normalerweise wird dieser Fall eher beiläufig abgehandelt, doch hier ist es anders. Es muss darum gekämpft werden. Dazu spielen die Beteiligten verdeckt eine ihrer Handkarten aus, dann werden diese aufgedeckt und verglichen. Die höchste Zahl gewinnt (mit der Ausnahme, dass die 1 immer die 8 schlägt) und bekommt die Punkte, die für den ersten Platz reserviert sind.
Da in «Animal Kingdoms» Gleichstände relativ häufig vorkommen, sollte man die Bedeutung dieses eben beschriebenen Spiels im Spiel nicht unterschätzen. Es lohnt sich in jedem Fall, auf solche Gleichstandsituationen vorzubereiten. Dazu muss man die Entwicklung in den einzelnen Königreichen aufmerksam beobachten. Wo zeichnet sich ein Gleichstand ab? Will ich einen Gleichstand provozieren oder gehe ich, wenn ich an der Reihe bin, lieber auf Tutti und sichere mir in einem anderen Königreich die Mehrheit? Dazu allerdings benötige ich die passenden Karten. Mit Blick auf das Ablegen sind dies möglichst diverse Karten, die ich aufgrund der geltenden Gesetze ausspielen kann, während ich für die Regelung der Gleichstände Handkarten mit hohen Werten (und mindestens eine Einser-Karte) brauche.
Zocken und Bluffen
Die «richtigen» Karten: Diese stehen mir nur zur Verfügung, wenn ich erstens den Einsatz meiner Karten taktisch richtig plane und zweitens, wenn mir das Glück diese Karten beim Nachziehen in die Hand spielt. Man hat jedoch nie das Gefühl, dass man dem Zufall ausgeliefert ist. Einen unberechenbaren Faktor in «Animal Kingdoms» sollte man jedoch nicht ausser Acht lassen – die Ungewissheit bei den Kämpfen nach Gleichständen. Welche Karten hat mein Gegenüber in der Hand? Solche mit hohen Werten? Mit niedrigen? Kann ich eine Acht ausspielen mit dem Risiko, dass sie mit einer Eins geschlagen wird? Vielleicht ist es besser, die scheinbar sicherere Sieben auf den Tisch zu legen? Und dann feststellen müssen, dass die Gegnerin mit einer Acht alles riskiert … und gewonnen hat.
Zocken und Bluffen wie hier – das sind nur zwei aus der Vielfalt der Elemente, von denen «Animal Kingdoms» lebt. Wenn man am Zug ist, hat man zwar nur drei Aktionsmöglichkeiten, aber verschiedenste Optionen, wobei deren Zahl auch nicht so hoch ist, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht – ein ideales Familienspiel.
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Animal Kingdoms: Taktisches Gesellschaftsspiel von Steven Aramini für 1 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Game Factory,. Fr. 29.50
Hinweis: Der Autor ist beratendes Mitglied der Jury «Spiel des Jahres». In dieser Funktion nimmt er jedoch an den aktuellen Nominierungs- und Wahlverfahren nicht teil.